Immer wieder erreichen mich zahlreiche Anfragen zum Wirtschaftspsychologie-Studium, so dass ich nun die Gelegenheit nutzen möchte, die häufigsten Fragen gesammelt zu beantworten. Alle Fragen haben mich über Instagram erreicht, so dass ich diesen Blog-Artikel wie ein Interview gestalten möchte, das ich meiner Community gebe.
Warum hast du dich für diesen Studiengang entschieden?
In meinem Erststudium habe ich das 1. Staatsexamen für Lehramt Gymnasium sowie parallel einen Master of Arts in Romanischer Philologie (Spanisch und Französisch) abgeschlossen. Während meines Studiums konnte ich jedoch bereits ein längeres Praktikum im Personalwesen absolvieren und habe dadurch für mich erkannt, dass mich dieser Bereich noch stärker interessiert als der Lehrerberuf. Direkt nach dem Studium habe ich jedoch aufgrund meines fehlenden fachlichen Hintergrundwissens keinen Einstieg in den Personalbereich gefunden und trat stattdessen meine erste Stelle als Berufsschullehrerin an. Berufsbegleitend absolvierte ich eine größere Weiterbildung im Personalwesen, so dass ich nach einem Jahr an der Berufsschule eine Stelle als Personalreferentin antreten konnte. Diese Stelle entpuppte sich nach wenigen Tagen als Leitungsposition. Zudem befand sich das Unternehmen in einem größeren Veränderungsprozess, so dass meine Leidenschaft für die beiden Themen Leadership und Change Management startete. Vom Arbeitgeber wurden mir zahlreiche praxisrelevante Weiterbildungen bezahlt, dennoch trieben mich immer stärker die Fragen um, was Führung eigentlich wirklich erfolgreich macht und was der wissenschaftliche Hintergrund zu dem, was wir in der Praxis taten, ist. Zudem war es für mich auch wichtig, in meinem neuen Arbeitsbereich auch akademisch anzukommen. Aus diesem Grund entschied ich mich für einen nicht-konsekutiven berufsbegleitenden Master of Science in Wirtschaftspsychologie mit dem Schwerpunkt Leadership.
Welche Inhalte werden im Wirtschaftspsychologie-Studium behandelt?
Inhaltlich kann das Wirtschaftspsychologie-Studium abhängig vom Schwerpunkt eine große Bandbreite abdecken. Grob lässt sich die Wirtschaftspsychologie in drei Hauptschwerpunkte untergliedern: Arbeits-, Personal- & Organisationspsychologie, Markt- & Konsumentenpsychologie und Geld- & Finanzpsychologie. Innerhalb dieser Hauptschwerpunkte können natürlich noch Unterschwerpunkte gelegt werden, so dass ich mich beispielsweise auf den Bereich Leadership spezialisiert habe.
Das Wirtschaftspsychologie-Studium startet sinnvollerweise mit der Einführung in die allgemeine Psychologie, auch übergreifende Fächer wie Sozial-, Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie sollten Teil eines sinnvollen Wirtschaftspsychologiestudiums sein. Hier geht es darum, die wichtigen psychologischen Grundlagen zu legen, um das menschliche Erleben und Verhalten verstehen zu können. Ein wichtiger allgemeiner Part ist zudem der Bereich Forschungsmethodik, so dass du nach einem Wirtschaftspsychologie-Studium auch wissenschaftlich arbeiten kannst. Dies zeigst du während des Studiums in Forschungsarbeiten und natürlich in deiner Abschlussarbeit. Anschließend legst du in den meisten Wirtschaftspsychologie-Studiengängen einen inhaltlichen Schwerpunkt in einem der drei genannten wirtschaftspsychologischen Hauptschwerpunkte. Dies solltest du natürlich auch von dem Bereich, in dem du tätig werden möchtest, abhängig machen.
Was ist der Unterschied zwischen dem Psychologie- und dem Wirtschaftspsychologie-Studium?
Psychologie ist grundsätzlich die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten und Erleben. In der Wirtschaftspsychologie wird dies angewendet auf den Kontext des wirtschaftlichen Handelns. Im Psychologie-Studium werden die oben genannten Grundlagen noch vertieft und erweitert um Fächer wie zum Beispiel Biologische Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie. Zudem liegt meist ein erweiterter Schwerpunkt auf Diagnostik und Neuropsychologie. Wirtschaftspsychologie Themen werden hier meist nur in Wahlfächern oder Vertiefungen behandelt. Du wirst somit allgemeiner qualifiziert, eine umfassende wirtschaftspsychologische Spezialisierung fällt hier weg.
Was konntest du aus dem Studium mitnehmen – für deinen Job, für deine Selbstständigkeit, für dich persönlich?
Für meinen Job als Führungskraft im Personalwesen konnte ich wichtige Erkenntnisse dazu mitnehmen, wie Prozesse in der Organisation oder auch ganz speziell im Change Management besser gestaltet werden können. Ich hinterfrage Vorgehensweisen stärker und kann nun auch eine fundierte Erklärung für ein vormaliges ‚Gefühl‘ liefern.
In meiner Selbstständigkeit setze ich nun vermehrt auf den Faktor Wirtschaftspsychologie und Wissenschaft. Warum sollten wir wissenschaftliche Erkenntnisse nicht auch vermehrt für die Praxis nutzen? Diese Lücke zwischen dem, was die Wissenschaft weiß, und dem, was die Wirtschaft tut, möchte ich schließen. Viele innovative Erkenntnisse aus der Wissenschaft sind in der Praxis gar nicht bekannt, was dringend geändert werden sollte. Auch als Coaches, Trainer*innen und Berater*innen sollten wir insgesamt stärker auf relevante Erkenntnisse zurückgreifen.
Für mich persönlich ist es so, dass ich nun viel klarer im Wirrwarr der Methoden und Herangehensweisen sehe. Während ich vorher auch von teilweise fragwürdigen Tools angezogen wurde und, wie so viele in der Wirtschaft, dem ‚new shiny object‘ nachgelaufen bin, kann ich nun stärker zwischen Mythos und tatsächlicher, wissenschaftlich-fundierter Wirksamkeit unterscheiden.
Welche Jobmöglichkeiten und Arbeitsfelder bieten sich nach dem Wirtschaftspsychologie-Studium?
Abhängig vom Schwerpunkt bieten sich natürlich auch unterschiedliche Jobmöglichkeiten und Arbeitsfelder. In Bezug auf meinen Hauptbereich Arbeits-, Personal- & Organisationspsychologie bieten sich aus meiner Sicht hauptsächlich folgende Tätigkeitsbereiche:
- Personalmanagement, Personal- und Führungskräfteentwicklung, Personalleitung
- Organisationsentwicklung, Begleitung von Change-Prozessen
- Arbeits- und Gesundheitsschutz im betrieblichen Kontext
- Coaching, Training, Beratung, vor allem im Coaching ist hier aber noch eine Coachingausbildung notwendig
Bei den Jobmöglichkeiten stellt sich natürlich auch die Frage nach Anstellung oder Selbstständigkeit. Vor allem im Bereich Coaching, Training und Beratung wird hier vor allem die Selbstständigkeit infrage kommen. Nur wenige größere Konzerne stellen Coaches, Trainer*innen und Berater*innen auch tatsächlich an. Am überlaufenen Markt gilt es hier natürlich eine gute Spezialisierung und Positionierung zu finden. Es ist nicht leicht, aber möglich. Im Kontext eines neuen Arbeitens auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung wird der menschliche Faktor immer wichtiger werden. Hier herrscht in vielen Unternehmen noch Nachholbedarf.
Muss man das tatsächlich studieren oder ist es die Lebenserfahrung, die es rund macht?
Grundsätzlich ist ein Studium natürlich nicht absolutes Must-have. Gerade und vor allem die Lebens- und Berufserfahrung spielt hier eine große Rolle, vor allem in den obengenannten Bereichen. Dennoch beobachte ich immer wieder, dass zum Teil auch von erfahrenen Kolleg*innen sehr zweifelhafte Methoden angewendet werden.
(Wirtschafts)Psychologisches Know-How lässt hier hinter die Kulissen blicken. So bezeichnen manche Institute ihre eigenen Tools und Methoden als wissenschaftlich geprüft, in der Tat wurden diese aber meist nur einmalig und von diesem Institut zu Werbezwecken geprüft und würden so in dieser Form von jedem (Wirtschafts)Psychologen wissenschaftlich zerlegt werden.
Auch lernt man im (Wirtschafts)Psychologie-Studium, dass der eigenen Intuition und dem eigenen Bauchgefühl doch nicht immer zu trauen ist, weil wir oft auch von unserer eigenen Psyche ausgetrickst werden. Hier möchte ich beispielhaft auf einen Artikel von Prof. Dr. Uwe-P. Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück, verweisen, in dem er beispielhaft über Selbstbetrug in der Personalauswahl schreibt.
Ist es notwendig, ein Wirtschaftspsychologie-Studium zu absolvieren, um Coach zu werden?
Natürlich ist es nicht notwendig, ein Wirtschaftspsychologie-Studium zu absolvieren, um Coach zu werden. Im Gegenteil ist es sogar wichtiger, eine Coaching-Ausbildung zu absolvieren, um die Tools und Methoden zu lernen. Dennoch sehe ich es in der Verantwortung von Coaches zu prüfen, was tatsächlich wissenschaftlich auch fundiert ist, und dann reflektiert auszuwählen. Hier verweise ich noch einmal auf die vorherige Antwort.
Hat sich der Aufwand für dich gelohnt?
Für mich hat sich der Aufwand definitiv gelohnt. Ich habe während meines Studiums noch einmal mein Herz an die Wirtschaftspsychologie verloren. Insbesondere der Schwerpunkt Leadership ist für mich hochrelevant und macht aus meiner Sicht mein Coaching, mein Training und meine Beratungen besser. Ich trete nun im Wintersemester 2020/2021 meinen ersten Lehrauftrag als Hochschuldozentin der Wirtschaftspsychologie an, um nah am Fach zu bleiben, und plane in Zukunft meine Kompetenzen in diesem Bereich sogar noch auszubauen. Das ist meine persönliche Meinung. Ob sich ein Studium für dich auszahlt, musst du selbst entscheiden. Nicht immer muss sich der Aufwand für dich lohnen, dennoch empfehle ich dir dringend, dich mit der wissenschaftlichen Fundierung auseinanderzusetzen, wenn du in einem der obengenannten Arbeitsbereiche tätig werden möchtest.
Du bist Coach und willst Führungskraft auf dem Weg zu einem neuen Arbeiten begleiten? Schau dir doch mal diese Video-Fallstudie an.