Interview mit Corina Rommel zu Resilienz in der Führung

von | Sep 25, 2020 | Blog

Das Thema Resilienz wird für Einzelpersonen, Teams und Organisationen aufgrund der zunehmenden externen Dynamik immer wichtiger. Aus diesem Grund habe ich Corina Rommel, Resilienztrainerin und Business Coach, interviewt, um ihre ganz persönliche Sicht auf das Thema kennenzulernen und insbesondere den Zusammenhang zwischen Resilienz und Führung genauer zu beleuchten.

Corina, du bist Coach und hast dich voll und ganz auf das Thema Resilienz spezialisiert. Was verbindest du persönlich mit Resilienz?

Resilienz wird beschrieben als psychische Widerstandsfähigkeit, also wie unsere Psyche, unser Körper aber auch unsere Seele und unser Geist mit schwierigen Herausforderungen umgehen. Es ist das Immunsystem der Seele. In der Wissenschaft wird hier auch der Umgang mit Krisen, wie zum Beispiel die aktuelle Corona-Krise, erforscht. Diese Widerstandsfähigkeit und Resilienz zeigen sich erst in Krisen. Wenn alles gut läuft und jeder Tag voller Sonne ist, sowie wir sonnig aufwachen, was ja unser Ziel ist, dann können wir unsere Resilienz gar nicht testen, weil jeder dies ja irgendwie gerne mit einer Skala messen möchte.

Für mich persönlich braucht es gar keine Krise, weil ich sage, dass wir auch im Alltag so viele Herausforderungen haben. Das beginnt schon, wenn wir in der Früh aufstehen und nicht grinsend aus dem Bett steigen. Dann darf und sollte sich jede*r schon fragen: Was ist los? Warum lache ich heute nicht? Das hat auch mit Resilienz und psychischer Widerstandsfähigkeit zu tun. Es steigert meine Resilienz, wenn ich in der Früh positiv gestimmt – lachend aufstehe.

Somit ist Resilienz für mich allgegenwärtig, jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. In allem was ich tue, wie ich mich in Gesprächen verhalte, mit meiner Familie, meinen Nachbarn, beim Bäcker, in der Arbeit, wie ich im Straßenverkehr mit dem Auto fahre. Komme ich schnell in Rage, wenn kurz vor mir die Ampel von gelb auf rot schaltet?  Hier ist auch schon Resilienz gefordert. Sitze ich dann im Auto und merke, wie der Herzschlag sich beschleunigt und der Ärger in mir hochsteigt? Oder gehe ich gelassen damit um, auch wenn ich einen Termin habe und mir hier einige Sekunden hätte sparen können? In dieser Situation kann ich meine individuelle Resilienz schon üben. Allem, was mir in meinem Leben widerfährt, kann ich  mit Resilienz begegnen.

Jetzt hast du ja schon viele Praxisbeispiel aus dem Alltag gebracht. Du hast ja nicht nur Resilienzcoach und hast beruflich mit dem Thema zu tun, sondern lebst das Thema förmlich. Was hat sich durch Resilienz in deinem Leben verändert?

Für mich persönlich würde ich sagen, dass ich Resilienz lebe und leben darf und jeden Tag geprüft werde. Für mich hat sich verändert, dass ich immer gelassener mit bestimmten Herausforderungen, die ja auch mir als Resilienztrainerin und Coach passieren, umgehe. Wenn mir ein Klient fünf Minuten vor dem Zoom-Call oder einen Tag vor dem Präsenzcoaching absagt, dann darf ich mir selbst und meinen eigenen Gefühlen mit Resilienz begegnen. Da helfen mir all diese Übungen, die ich in meiner Ausbildung gelernt habe. Aber ich lerne auch viel durch das Lesen von Büchern – es ist ein lebenslanges Lernen. Es gibt schon so viele und alte Studien.

Da kann ich dann lernen, dass ich gelassener bleibe, dass ich nicht zu sehr in die Selbstkritik mit mir gehe, dass ich dann so etwas auch als Chance sehe, wenn ich den Blickwinkel verändere. Was ist das Gute im Schlechten, wenn zum Beispiel ein Klient absagt? Es geht darum, dass ich nicht zu lange in der Opferrolle verharre, was ein typischer Faktor von Resilienz ist. Dass ich mich nicht selbst bedauere, sondern gleich in das Positive gehe und überlege, wie ich diese Zeit sinnvoll nutzen kann, die dadurch frei wird. Dann widme ich mich der nächsten Priorität auf meiner ToDo-Liste. Somit stellt sich auch oft im Nachhinein heraus, dass das jetzt genau der richtige Zeitpunkt war, weil ich voller Energie für das Coaching war und diese Energie nehme ich mit und nutze sie für die andere Aufgabe. Man muss nur wissen, wie man da wieder herauskommt – das ist die Herausforderung.

Manche denken vielleicht, dass sie das Thema nicht betrifft, weil ‚Resilienz‘ ein Begriff ist, den man im Alltag nicht unbedingt häufig benutzt und der auch sehr fachlich und wissenschaftlich klingt. Was meinst du? Für wen ist Resilienz?

Für jedes Lebewesen auf dieser Erde. Und ich sage jetzt auch bewusst Lebewesen, denn ich denke, dass auch Tiere mit Herausforderungen geprüft werden. Nehmen wir den kleinen Hund, der an einem großen Bullterrier vorbeigeht. Hier ist die Resilienz des kleinen Hundes ganz schön gefordert. Das ist nun ein flapsiges Beispiel von mir und doch auch Hunde werden hier je nach Verfassung und durchlaufender Erziehung und Prägung unterschiedlich resilient reagieren.

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass wir mit einer gewissen psychischen Widerstandsfähigkeit geboren werden, und dann mit bestimmten Herausforderungen konfrontiert werden. Das beginnt bei den Eltern und den Geschwistern, den Freunden aus Kindergarten und Schule. Dadurch werden wir immer mehr von unserer Umgebung geprägt und entwickeln Stärken im Umgang mit schwierigen Situationen oder auch nicht. Deswegen ist Resilienz für jeden wichtig, um überhaupt zu überleben.

Aus meiner Sicht beweist der Säugling auch schon Resilienz, wenn er Hunger hat und anfängt zu schreien. Das ist hier ein Automatismus des Körpers, der aus meiner Sicht auch zur Resilienz zählt. Die Körperfunktion schützt das Kind, wenn die Mama gerade in der Sekunde keine Zeit hat, so dass das Kind sich nicht in Trance schreit, sondern dann wieder in einen Ruhezustand zurückfällt und schläft – sowie abwartet.

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die psychische Widerstandsfähigkeit bei jedem Menschen durch Training gesteigert werden kann. Das finde ich toll, wenn man bedenkt, dass die Großzahl der Krankheitstage beim Menschen auf psychischen Erkrankungen beruhen. Resilienz ist somit meiner Meinung nach für jeden wichtig.

Richten wir den Fokus auf das Thema Resilienz in der Führung. Führungskräfte tragen viel Verantwortung, sollen sich und andere motivieren, ihre Abteilung nach vorne bringen und dabei leistungsfähig bleiben. Was bringt es Führungskräften, sich mit Resilienz zu beschäftigen?

Führungskräfte sollten sich unbedingt mit Resilienz beschäftigen. Nur wer selbst psychisch stark ist, kann und wird gute Führung leisten. An der Stelle möchte ich die Resilienzfaktoren benennen. Diese werden oft unterschiedlich bezeichnet, haben aber den gleichen Kern. Ich arbeite mit den Resilienz-Faktoren nach LOOVANZ. Es geht bei einer resilienten Führungskraft um lösungsorientiertes Denken und Handeln, auch darum als Führungskraft heraus aus der Opferrolle zu gehen, optimistisches und verantwortungsvolles Denken und Handeln, Akzeptanz, also Selbst- und Außenakzeptanz, zu üben und ziel- und lösungsorientiert zu führen. Ein weiterer Faktor ist das Netzwerken, was Führungskräften oft schwer fällt. Diese wollen aus meiner Erfahrung heraus, oft alles selbst tun, beziehungsweise sehen sich in ihrer Rolle gezwungen, oftmals alleine zu handeln. Zudem geht es noch um Ziel- und Zukunftsplanung, was eine typische Hauptaufgabe der Führungskräfte ist. Sie müssen operativ und strategisch Ziele festlegen und die Zukunft planen.

Resilienz schließt für mich Denken, Handeln und Fühlen ein. Es startet beim Denken und Fühlen und anschließend geht es in das Tun. In der VUCA-Welt, in der sich ständig alles verändert, ist zum Beispiel die Akzeptanz des Wandels wichtig, um als nächsten Schritt verantwortungsbewusst und optimistisch zu handeln. Wenn die Führungskraft das vorlebt, überträgt sie das auf ihre Mitarbeiter. Deswegen ist es sehr wichtig für Führungskräfte sich mit dem Thema Resilienz zu beschäftigen, denn das sind alles Führungsthemen.

Wie wirkt sich die Resilienz der Führungskraft auf das Team aus, wenn sich also die Führungskraft mit dem Thema beschäftigt und dadurch auch resilienter wird?

Das Team wird durch vorgelebte Resilienz auch resilient. Man spricht hier auch von einem positiven Resilienz-Feld, das entsteht. Das Team wird diese vorgelebten lösungsorientierten Denkansätze übernehmen. Es wird kreativer und bekommt mehr Freiraum, wenn die Führungskraft dem Team vertraut, diesem Wertschätzung entgegenbringt und Verantwortung übergibt überträgt. Dadurch steigert sich auch die Agilität und Innovationskraft des Teams. Das alles ist sehr positiv für das Team und es kann ein sogenannter positiver Flow entstehen.

Man unterscheidet um die individuelle Resilienz, die Teamresilienz und die Organisationsresilienz. Es ist wie ein Zahnrad. Wenn eine Führungskraft grantig über den Flur läuft und zwei Mitarbeitern begegnet, die dadurch geschwächt werden, und diese gehen dadurch mürrisch zu einer Teamsitzung, dann überträgt sich das auf das gesamte Team. Die Teammitglieder fragen sich was sie falsch gemacht haben, es entsteht der sogenannte negative Flurfunk, die Kommunikation läuft schlecht. Und schon geht die Teameinheit verloren. Wenn dies andersrum positiv geprägt wird und die Führungskraft mit einer positiven Haltung durch die Gänge läuft, dann überträgt sich das auch positiv auf das Team. Das ist wie ein Spiegel. Durch eine Einzelperson kann hier in der Organisation bereits einiges bewirkt werden.

Wie kann eine Führungskraft, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, in das Thema Resilienz einsteigen? Was empfiehlst du als ersten Schritt?

Der erste Schritt, wenn sich die Führungskraft damit noch gar nicht auseinandergesetzt hat, ist das Bewusstwerden. Dazu gehört Bewusstsein, das Auseinandersetzen mit der eigenen Persönlichkeit und der eigenen psychischen Widerstandsfähigkeit, Selbstreflexion, auch das Fühlen und Erspüren der eigenen Emotionen.

Es reicht nicht nur aufzuschreiben, wo die eigenen Stärken und Schwächen sind, sondern auch das Fühlen, was es mit einem macht, wenn man sich mit negativen Emotionen und Schwächen beschäftigt. Hier zeigt sich stark die Resilienz. Wie gehe ich damit um, wenn ich aufschreibe, was ich nicht gut kann? – Wenn ich zum Beispiel erkenne, dass ich nicht so empathisch mit den Mitarbeitern umgehen kann. Was macht das mit mir? Das spiegelt mir, zeigt, mir wie resilient ich bei diesem Thema bin. Gehe ich sofort in die Opferrolle? Kann ich es akzeptieren, dass ich so bin? Trage ich die Verantwortung dafür? Da kommen all diese Faktoren zum Vorschein.

Als nächstes empfehle ich auch einen Resilienztest, weil das Selbstbild oft nicht ausreicht. Da komme ich dann als Trainerin und Coach mit ins Spiel. Hier wird dann anhand von Fragen noch einmal richtig tief reflektiert. Und dabei entsteht oft ein anderes Bild. So wäre die Herangehensweise im ersten Schritt.

Was möchtest du jemandem mitgeben, der sich momentan gar nicht resilient fühlt, sondern im Gegenteil gestresst, überfordert und genervt?

Da kommt dieser ausgelutschte Satz „In der Ruhe liegt die Kraft.“ komplett zum Tragen. Hier würde ich auf jeden Fall raten, sich selbst erst einmal Ruhe zu verordnen. Und anschließend wahrnehmen: Was brauche ich? Was braucht mein Körper? Was braucht die Psyche? Als nächsten Schritt geht es darum bewusst wahrnehmen, weil wir oft denken, dass wir jetzt Bewegung oder ein Sofa oder Freunde brauchen. Das denken wir aber nur, weil wir dann gleich wieder in der nächsten Handlung sind. Wir fühlen uns schlecht und denken und handeln. Und da muss eine Unterbrechung her: sich Ruhe zu nehmen für ein paar Stunden und nur zu spüren. Und dann kommen andere Signale. Da kommt nicht unbedingt gleich, ich muss auf das Fahrrad steigen oder ich muss jetzt jemanden anrufen. Da kommt dann vielleicht etwas ganz anderes. Gönne dir eine Ruhepause. Nimm deine Gedanken und Emotionen in Ruhe wahr. Und komme in das Spüren, ob es vielleicht auch tiefgründigere Bedürfnisse sind, die schon lange anklopfen. Wenn ich das immer wieder wegdrücke, wird es schwierig, weil ich dann vielleicht krank werde. Es geht um das bewusste Wahrnehmen und Reflektieren der Gedanken und der Gefühle.

Vielen lieben Dank dir, Corina, für das tolle Interview und den Einblick in das Thema Resilienz und deine Arbeit.

Mehr zu Corina findest du unter: https://ccrommel.de/

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