Karriere und Führung als Mutter – Interview mit Jobcoach Anke Hennigs

von | Jan. 13, 2022 | Blog

Noch immer ist die Kombination von Mutter sein und Karriere oder Führung tendenziell schwierig. Das liegt unter Anderem an strukturellen Aspekten, aber auch am gesellschaftlichen Blick auf ambitionierte Frauen und Mütter. Du kannst dich ja auch selbst einmal fragen: Was sind deine Erwartungen an Mütter? Und welche Rolle spielt dabei das Thema Karriere und Führung?

Anke Hennigs hat es sich zum Ziel gesetzt, Mütter auf dem Weg zu mehr beruflicher Zufriedenheit zu begleiten. Meist ist damit auch eine berufliche Neuorientierung verbunden. In unserem Interview haben wir die Fragen beleuchtet, was gerade die berufliche Situation von Müttern besonders macht, was sie von Führung in Teilzeit hält und wo auch Unternehmen hier ansetzen können, um Müttern mehr Chancen zu bieten.

Liebe Anke, du hast Karriereglück gegründet und begleitest damit als Jobcoach Mütter, die sich beruflichen Wechsel wünschen. Was macht gerade die berufliche Situation von Müttern so besonders?

Da gibt es mehrere Aspekte. Am offensichtlichsten ist die Tatsache, dass die meisten Mütter vor ihrer Mutterschaft in Vollzeit gearbeitet haben und sich nach der Elternzeit einen Teilzeitjob wünschen. Dann sind sie oftmals zum ersten Mal in ihrer Karriere damit konfrontiert, nicht genügend Auswahl passender Stellen zu finden, weil gerade qualifizierte Teilzeitstellen leider rar gesät sind.

Leider erleben viele Frauen auch immer noch negative Rückmeldungen am Arbeitsplatz, wenn sie Mutter werden. Gerade ambitionierte Frauen kann es sehr treffen, wenn sie sich nun Sprüche anhören müssen wie „Du hast dich doch für ein Kind und damit gegen deine Karriere entschieden“.

Viele Mütter erleben außerdem konkrete Benachteiligungen,  z.B. durch die Verweigerung einer Arbeitszeitreduzierung, die Verkleinerung des Verantwortungsbereichs oder sogar eine Kündigung direkt nach der Elternzeit (laut einer Studie von 2015 konnten 25% der Mütter nach der Elternzeit die alte Position nicht übernehmen, 66% mussten sich mit einem niedrigeren Tätigkeitsniveau, geringeren Einflussmöglichkeiten, schlechterer Bezahlung und/oder schlechteren Aufstiegschancen abfinden). All dies greift das Selbstvertrauen an, dass nach einer beruflichen Pause oft ohnehin angegriffen ist.

Manchmal ist das äußere Umfeld aber auch gar nicht das Problem. Sondern die Frauen haben durch die Berufspause bemerkt, dass sie eigentlich gar nicht mehr glücklich sind mit dem, was sie tun. Dann kommt der Veränderungswunsch von innen statt von außen.

Mit welchen Herausforderungen kommen Mütter zu dir ins Coaching?

Die meisten haben die Orientierung verloren. Sie wissen nicht genau, wo sie beruflich eigentlich hinwollen und welche Ziele für sie als Mutter realistisch sind. Oft sind sie sehr unsicher, was den eigenen Marktwert angeht. Die Herausforderungen bestehen also von zwei Seiten: im Inneren fehlt die Klarheit über die eigenen Fähigkeiten und Ziele und im Außen eine realistische Einschätzung, was in der aktuellen Lebensphase erreichbar und auch von der Energie her schaffbar ist.

Sprechen wir über das Thema Mütter in der Führungsrolle. Ich habe das Gefühl, da gibt es noch ganz viel Nachholbedarf. Wo siehst du die größten Fallstricke?

Das größte Hindernis ist in meinen Augen die fehlende Bereitschaft vieler Unternehmen, flexible Teilzeitmodelle auch für Führungskräfte anzubieten. Als könnte man nur in Vollzeit eine gute Führungskraft sein. Darüber ärgere ich mich sehr, denn es setzt die Frauen einem wahnsinnigen Druck aus, der weder gesund ist noch zu mehr Leistungsfähigkeit führt. Im Gegenteil – genau dieser Druck lässt viele irgendwann das Handtuch werfen. Die Familie kann man nicht einfach aufgeben, also wird dann die Führungsrolle an den Nagel gehängt. Ein riesiger Verlust sowohl für die Frauen als auch für die Unternehmen! Und dann heißt es wieder: die Frauen wollen ja nicht führen oder schaffen es nicht.

Ich wünsche mir einen Wandel; weg von dem Blick auf die Präsenzzeiten einer Führungskraft hin zu den Ergebnissen, die sie mit ihrem Team erzielt. Davon würden alle profitieren.

Wenn es um Neueinstellungen geht, werden Mütter kleinerer Kinder übrigens nachweislich benachteiligt, selbst wenn sie in Vollzeit arbeiten wollen. Studien zeigen, dass Elternzeiten bei Frauen grundsätzlich negativ bewertet werden, egal ob die Berufspause kurz oder lang war. Das Mutterbild in Deutschland wandelt sich leider nur langsam, es wird immer noch automatisch davon ausgegangen, dass eine Mutter im Job weniger leistungsfähig ist. Dabei ist das Gegenteil der Fall – Mütter sind oft extrem gut organisiert und arbeiten sehr effizient.

Wie siehst du das Thema Führung in Teilzeit?

Ich hatte selbst eine Führungskraft, die in Teilzeit gearbeitet hat, und sehe darin gar kein Problem. Ganz im Gegenteil! Eine gute Führungskraft kümmert sich um die Belange ihrer Mitarbeiter*innen, gibt eine Vision vor und hält die Motivation im Team hoch. Dafür ist nicht entscheidend, wie viele Stunden sie im Büro ist.

Das Märchen, dass man Mitarbeiter*innen möglichst durchgehend kontrollieren muss, hat sich hoffentlich spätestens seit Corona erledigt. Ich glaube, Führung in Teilzeit kann sogar eine große Chance bedeuten. Weil die Führungskraft zwangsläufig delegieren und Verantwortung abgeben muss. Davon profitiert das Team, denn Menschen WOLLEN ja gerne eigenständig arbeiten.

Nicht zuletzt ist eine gesunde Work-Life-Balance auch in der Führungsriege ein gutes Vorbild für die Mitarbeiter*innen und definitiv ein Faktor, der Führungsrollen auch für künftige Generationen attraktiver machen wird. Denn dort sehen wir ja deutlich, dass die Menschen (zum Glück) nicht mehr bereit sind, ihr gesamtes Leben und ihre Gesundheit der Karriere zu opfern.

Was sollte deiner Meinung nach von Seiten der Unternehmen getan werden, um Mütter in der Führungsrolle zu unterstützen?

Ganz einfach: fragt die Mütter, was sie brauchen. Das gilt natürlich auch für alle Nicht-Mütter. Ist die Belastung zu hoch, werdet kreativ. Teilzeitlösungen können zum Beispiel auch durch Modelle von geteilter Führung, Jobsharing usw. realisiert werden. Die Modelle und Möglichkeiten sind ja alle da, sie müssen nur viel öfter und konsequenter von den Unternehmen umgesetzt werden.

Auf jeden Fall sollten sich Unternehmen fragen, ob sie wirklich auf eine qualifizierte und engagierte Mitarbeiterin dauerhaft verzichten oder sie unterhalb ihres Potentials arbeiten lassen wollen, nur weil sie einige Jahre weniger arbeiten kann. Die Kinder sind nicht ewig klein, wenn ich eine Frau aber einmal degradiert habe, bekomme ich sie meist nicht mehr zurück auf die Führungsebene.

Was ist dein Tipp für Mütter, die sich fragen: „Führung – ja oder nein?“?

Wenn der Wunsch nach Führung da ist, sollte man dafür kämpfen. Das bedeutet aber nicht, dass die Frau sich wahnsinnig verbiegen sollte, um den Ansprüchen des Unternehmens an eine Vollzeit-Führung zu genügen. Frauen sollten sich ihres Marktwertes bewusst sein und nach einem Arbeitgeber suchen, der ihnen die Chance gibt, Familie und Beruf tatsächlich gut zu vereinbaren. In Zeiten des Fachkräftemangels können qualifizierte Mütter selbstbewusst auf die Suche gehen!

Will die Mutter erst mal keine Führung, weil sie die Energie nicht hat, ist das auch ok. Dafür sollte man sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen! Wichtig ist, später wieder den Schritt zurück in die Verantwortung zu machen und nicht zu lange damit zu warten. Übrigens: es klingt manchmal verlockend, die Führungsrolle abzugeben. Aber eine weniger qualifizierte Aufgabe macht auf Dauer oft auch nicht glücklich.

Vielen lieben Dank, Anke, für den Einblick und das Beleuchten eines hochgradig relevanten Themas.

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Mehr Informationen über Anke und Karriereglück findest du hier:

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