Scrum, Agilität, Selbstführung – diese Begriffe sind derzeit in aller Munde. Ich wollte wissen, was hier auch wissenschaftlich dahintersteckt und welche Faktoren zu Erfolg in Scrum-Teams führen. Aus diesem Grund habe ich die Wirtschaftspsychologin Janine Vetter, M.Sc., zu ihrer Forschungsarbeit zu den Erfolgsfaktoren im Scrum interviewt.
Janine, du bist Wirtschaftspsychologin und Pädagogin. Du hast in deiner Laufbahn sowohl den Sozialbereich als auch die IT-Branche kennengelernt. Diese beiden Bereiche erscheinen auf den ersten Blick doch sehr gegensätzlich. Welche Gemeinsamkeiten hast du dabei aber erlebt?
Stimmt, diese beiden Branchen sind gegensätzlich und doch gibt es eine große Gemeinsamkeit. In beiden Branchen, so gegensätzlich doch die Thematiken und Arbeitsweisen sein mögen, arbeiten Menschen. Und auf den Mensch bezogen sind Themen wie Verantwortung von Mitarbeitern, Mindset, Führung und Motivation in beiden Bereichen präsent und bedürfen der Auseinandersetzung.
Du hast ein Forschungsprojekt zu Erfolgsfaktoren im SCRUM, einer agilen Methode der Teamarbeit, durchgeführt. Was versteht man denn unter Scrum?
Scrum wird in der Literatur immer wieder unterschiedlich verstanden, einerseits als Methode, andererseits als Rahmenwerk. Nach meiner intensiven Auseinandersetzung mit Scrum, gefällt mir der Begriff Rahmenwerk sehr gut, da mit Scrum ein Rahmen gesteckt werden kann, in welchem Teams selbstorganisiert und sehr dynamisch agieren und auf sich ändernde Umstände reagieren können. Die Grundelemente von Scrum sind die Scrum-Rollen, also Scrum Master, Product Owner und Development Team, die Scrum-Ereignisse, also Daily, Retrospektive, Sprint, etc., und die Scrum-Artefakte wie Backlog et cetera.
Durch die Scrum-Rollen werden die einzelnen Arbeitsschwerpunkt der verschiedenen Teammitglieder klar definiert, beispielsweise ist der Product Owner dafür verantwortlich den Wert der Produkts zu maximieren, während das Development Team für die Entwicklung des Produkts verantwortlich ist und der Scrum Master eine Art „Servant Leader“ für die anderen Teammitglieder darstellt. Die Scrum-Ereignisse geben den Rahmen für Meetings mit verschiedenen Ausrichtungen und Zeitvorgaben vor, beispielsweise das Planning um die nächsten Schritte festzulegen oder die Retrospektive als ein Feedbackmeeting. Die Scrum-Artefakte könnte man als Dokumentation der Arbeit bezeichnen, um möglichst viel Transparenz zu schaffen. Beispielsweise ist im Product Backlog alles aufgelistet, was das Produkt letztlich enthalten soll.
Viele Unternehmen möchten derzeit vermehrt agile Methoden nutzen. Wann ist denn aus deiner Sicht der Einsatz von Scrum überhaupt sinnvoll?
Scrum geht von einem Mindset aus, in dem Selbstorganisation und Selbstführung großgeschrieben werden. Wenn ein Unternehmen in dieses Mindset investiert und mit den Mitarbeitern nicht nur an der Selbstorganisation arbeitet, sondern sie auch befähigt, diese Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig die nötige Freiheit dazu gibt, halte ich Scrum für sinnvoll. Grundsätzlich kann Scrum in ganz unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden, um von der flexibleren Arbeitsweise zu profitieren. Jedoch wird eine Umstellung von heute auf morgen ohne ein grundlegend neues Fundament in einem Unternehmen mit dem zugehörigen Mindset wohl kaum erfolgreich sein.
Was sind denn nun Erfolgsfaktoren im Scrum? Oder anders gefragt: Wann können Scrum-Teams erfolgreiche Ergebnisse erarbeiten?
Leider gibt es wie in so vielen Bereichen nicht den einen Erfolgsfaktor oder einen garantierten Erfolg durch Scrum. Jedoch kann Scrum mit unterschiedlichen Aspekten dem Projekterfolg dienen. Einerseits gibt es klare methodische, strukturelle Aspekte, dazu gehören die Scrum-Ereignisse, Scrum-Rollen und Artefakte.
Ein Beispiel für einen Erfolgsfaktor stellt dabei die Retrospektive dar – ein Meeting das darauf ausgelegt ist, dass das Team reflektiert, was gerade gut läuft, was nicht gut läuft und an welcher Stelle das Team sich verbessern kann. Wird dieses Meeting wirklich für ehrliche Reflexion genutzt, dient es dem Projekterfolg.
Neben strukturellen Aspekten sind Beziehungsaspekte auch bei Scrum ein sehr wesentlicher Erfolgsfaktor. Dabei sind resiliente Teams, die es schaffen sich flexibel und dynamisch auf neue Herausforderungen und Gegebenheiten in einem Projekt anzupassen, ein wichtiger Erfolgsfaktor für Scrum.
Durch SCRUM ändert sich auch die Rolle der Führung im Unternehmen. Was ändert sich konkret? Und welche Tipps hast du dabei für Führungskräfte?
Letztlich ist bei einem funktionierenden Team, das mit Scrum arbeitet und sich selbstorganisiert, im besten Fall keine Führung mehr notwendig. Dass Selbstorganisation und Scrum nicht immer reibungslos funktionieren, konnte ich während der Auseinandersetzung mit diesem Thema im Zuge meiner Forschungsarbeit mehrfach beobachten. Mein Tipp für Führungskräfte ist, an dieser Stelle im Gespräch zu bleiben, nachzufragen, wie es gerade läuft und sich, wo immer es möglich ist, Zeit für die Teams zu nehmen und aktiv in Selbstorganisation zu investieren. Kommt ein Team mit einem Problem auf Sie zu, lösen Sie nicht das Problem des Teams, sondern befähigen Sie Ihr Team das Problem selbst zu lösen. Das kann gerade am Anfang mühsam sein und auf viel Gegenwehr stoßen, aber nach meinen Erfahrungen im Rahmen meines Projekts ist es lohnenswert.
Zum Abschluss würde mich noch interessieren, wie sich deiner Meinung nach Arbeiten und Führen ganz allgemein in den nächsten Jahren verändern wird. Welche Entwicklungstendenzen siehst du hier?
Ich sehe hier einen Trend hin zur Individualisierung und immer schneller werdenden Veränderungen und, nicht zuletzt durch die Ereignisse um Corona, eine Welle der Digitalisierung. Es scheint, als würden dadurch auch das Arbeiten und die Arbeitsbedingungen individueller werden – darauf wird Führung in Zukunft ausgerichtet sein müssen.
Vielen lieben Dank, Janine, für das super Interview.
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