Der Einsatz von diagnostischen Testverfahren in der Führungskräfte-Entwicklung

von | Juli 31, 2025 | Blog

Ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit mit Führungskräften ist der Einsatz von wissenschaftlich fundierten Testverfahren zur Diagnostik verschiedener Aspekte der Persönlichkeit, des Führungsverhaltens oder des Kompetenzprofils. In diesem Blog-Artikel möchte ich einen Überblick geben über die Verfahren, die ich selbst einsetze.

Persönlichkeitsdiagnostik: Charaktereigenschaften und Motive

Tests zur Erfassung von Charaktereigenschaften und Motiven spielen in der Führungskräfte-Entwicklung eine zentrale Rolle. Ich arbeite hier vor allem mit dem LINC Personality Profiler (LPP), der auf dem wissenschaftlich fundierten Big-Five-Persönlichkeitsmodell basiert – dem am besten erforschten Persönlichkeitsmodell der Psychologie. Der LPP erfordert eine spezielle Zertifizierung für die Durchführung. Als Alternative empfehle ich den B5T von Satow, der ebenfalls auf dem Big-Five-Modell beruht. Beide Verfahren erfassen nicht nur Charakterpräferenzen, sondern auch die zugrunde liegenden Motive, also das, was Menschen antreibt und motiviert.

Das Big-Five-Persönlichkeitsmodell beschreibt Persönlichkeit anhand von fünf grundlegenden Dimensionen: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität (oft auch als Neurotizismus bezeichnet, in umgekehrter Form). Diese Faktoren geben einen umfassenden Einblick in typische Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster. Da das Modell in zahlreichen Studien weltweit bestätigt wurde, gilt es als der Goldstandard in der Persönlichkeitspsychologie. Seine breite wissenschaftliche Basis macht es besonders geeignet für den Einsatz in der Führungskräfte-Entwicklung, da es hilft, individuelle Stärken, Entwicklungsfelder und Führungsstilpräferenzen fundiert zu analysieren.

Der Praxisnutzen des Big-Five-Modells in der Führungskräfte-Entwicklung ist vielfältig. Durch die Analyse der Persönlichkeit gewinnen Führungskräfte ein besseres Verständnis für ihre eigenen Verhaltensmuster, Kommunikationsstile und Motivationsfaktoren. Dies fördert nicht nur die Selbstreflexion, sondern ermöglicht auch eine gezieltere Weiterentwicklung von Führungskompetenzen. Gleichzeitig unterstützt das Modell dabei, die Dynamiken im Team besser zu verstehen: Wer die Persönlichkeitsprofile seiner Mitarbeitenden kennt, kann Aufgaben passgenauer verteilen, Konflikte konstruktiver lösen und die Zusammenarbeit stärken. So wird die eigene Führungsrolle klarer und wirkungsvoller gestaltet.

Neben den Charaktereigenschaften spielen auch die Motive eine entscheidende Rolle in der Führungskräfte-Entwicklung. Motive beschreiben, was Menschen innerlich antreibt und ihnen Energie gibt – beispielsweise das Streben nach Leistung, Einfluss oder sozialer Zugehörigkeit. Während Persönlichkeitsmerkmale eher stabile Verhaltensmuster abbilden, geben Motive Aufschluss darüber, warum eine Person bestimmte Entscheidungen trifft oder sich in bestimmten Situationen engagiert. Die Kenntnis der eigenen Motive hilft Führungskräften, bewusster mit ihren Antriebskräften umzugehen, Überforderung oder Demotivation zu vermeiden und ihre Rolle authentischer auszufüllen. Gleichzeitig lassen sich durch das Verständnis der Motive auch die Mitarbeitenden gezielter fördern und motivieren.

Persönlichkeitsdiagnostik: Stärken

Stärkentests verfolgen einen etwas anderen Ansatz als Persönlichkeitstests. Sie zielen darauf ab, die natürlichen Talente und Tugenden einer Person zu identifizieren – also das, was uns besonders leichtfällt und wofür wir intuitiv ein Gespür haben. In meiner Arbeit nutze ich vor allem den kostenlosen Stärkentest der Universität Zürich, der auf dem wissenschaftlich fundierten Modell der VIA-Charakterstärken basiert. Dieser Test bietet eine solide Grundlage, um individuelle Stärken sichtbar zu machen und gezielt in der Führungspraxis einzusetzen. Als kostenpflichtige englischsprachige Alternative kann ich zudem den Test vom VIA Institute of Character empfehlen, mit dem ein ausführlicher Stärkenreport im PDF-Format erstellt werden kann.

Das VIA-Charakterstärkenmodell wurde von den Psychologen Christopher Peterson und Martin Seligman im Rahmen der Positiven Psychologie entwickelt. Es beschreibt 24 universelle Charakterstärken, die sich sechs übergeordneten Tugenden zuordnen lassen: Weisheit und Wissen, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Transzendenz. Diese Stärken sind in jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt und bilden die Grundlage für ein erfülltes und wirkungsvolles Handeln. Im Kontext der Führungskräfte-Entwicklung hilft das Modell dabei, die eigenen Kernstärken zu erkennen und bewusster einzusetzen – sei es zur Motivation von Mitarbeitenden, zur Konfliktlösung oder zur Entwicklung einer authentischen Führungsidentität.

Der Praxisnutzen der VIA-Charakterstärken liegt vor allem darin, dass Führungskräfte lernen, ihre natürlichen Ressourcen bewusst zu nutzen. Indem sie ihre ausgeprägtesten Stärken identifizieren, können sie diese gezielt in Führungssituationen einsetzen – beispielsweise Mut und Durchhaltevermögen in Veränderungsprozessen, Empathie und soziale Intelligenz in Mitarbeitergesprächen oder Weisheit und Urteilsvermögen in strategischen Entscheidungen. Für Teams bietet der Ansatz zudem die Möglichkeit, die Stärkenvielfalt sichtbar zu machen und so Zusammenarbeit und gegenseitige Wertschätzung zu fördern. Das Ergebnis ist eine authentischere und stärkenorientierte Führung, die Motivation und Leistung gleichermaßen steigert.

Diagnostik von Führungsverhalten

Im Bereich der Führungsdiagnostik arbeite ich mit dem PERMA-Lead-Profiler, einem wissenschaftlich fundierten Instrument zur Analyse von Führungsverhalten. Das Verfahren bietet verschiedene Varianten und Einsatzmöglichkeiten, besonders wertvoll ist aus meiner Erfahrung das 360°-Feedback. Es ermöglicht eine umfassende Rückmeldung aus unterschiedlichen Perspektiven – von Mitarbeitenden, Kolleg:innen, Vorgesetzten und der Führungskraft selbst – und liefert dadurch ein besonders differenziertes Bild der eigenen Wirkung als Führungskraft. Für die Anwendung der PERMA-Lead-Testverfahren ist jedoch eine Zertifizierung erforderlich. Wer sich vor allem für das 360°-Feedback interessiert, findet am Markt auch alternative Anbieter, sollte jedoch bedenken, dass dieses Instrument unabhängig vom Anbieter in der Regel durchaus kostenintensiv ist, gleichzeitig aber auch einen hohen Mehrwert für die persönliche Weiterentwicklung bietet.

Das PERMA-Lead-Modell basiert auf der Positiven Psychologie und wurde speziell für den Führungskontext entwickelt. Es leitet sich von Martin Seligmans PERMA-Modell ab, das fünf zentrale Faktoren für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit beschreibt: Positive Emotionen (P), Engagement (E), Relationships/Beziehungen (R), Meaning/Sinn (M) und Accomplishment/Zielerreichung (A). Im Führungskontext wird dieses Modell um spezifische Aspekte von Leadership ergänzt und untersucht, wie Führungskräfte durch ihr Verhalten die Motivation, das Wohlbefinden und die Leistungsbereitschaft ihrer Teams beeinflussen. Der Ansatz verbindet damit klassische Führungsdiagnostik mit Erkenntnissen der Positiven Psychologie und liefert konkrete Hinweise, wie Führung nicht nur effektiv, sondern auch nachhaltig und gesundheitsförderlich gestaltet werden kann.

Beispiel für Kompetenztestung: Transferstärke

Um den nachhaltigen Transfer von Entwicklungsmaßnahmen sicherzustellen, arbeite ich mit dem Transferstärke-Modell. Dieses Modell untersucht die individuellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die dafür entscheidend sind, ob neu Gelerntes erfolgreich in die Praxis umgesetzt wird. Dazu gibt es ein eigenes Testverfahren, das gezielt die persönliche Transferstärke misst.

Das Transferstärke-Modell wurde von Prof. Dr. Axel Koch entwickelt und fasst auf Grundlage wissenschaftlicher Forschung insgesamt vier zentrale Faktoren zusammen, die entscheidend dafür sind, ob Lernimpulse nachhaltig in den Arbeitsalltag umgesetzt werden können. Es wurde empirisch mit rund 2.500 Proband:innen auf Basis von 18 Modellen aus der Lerntransfers‑ und Veränderungspsychologie entwickelt.

Die vier Faktoren sind:

  1. Offenheit für Fortbildungsimpulse
    Eine positive Grundhaltung gegenüber neuen Inhalten. Menschen mit hoher Offenheit lassen sich auf Neues ein und können transferrelevante Inhalte persönlich sinnvoll adaptieren.
  2. Selbstverantwortung für den Umsetzungserfolg
    Diese umfasst die Fähigkeit, sich aktiv selbst zu motivieren, konkrete Schritte zu planen und umzusetzen – auch mit Unterstützung aus dem eigenen Umfeld.
  3. Rückfallmanagement im Arbeitsalltag
    Der Alltag ist häufig ein Störfaktor. Menschen mit hoher Transferstärke erkennen Vorboten alter Muster frühzeitig und nutzen Strategien, um trotz Druck beharrlich am neuen Verhalten dranzubleiben.
  4. Positives Selbstgespräch bei Rückschlägen
    Erfolgreicher Lerntransfer hängt auch davon ab, wie mit Rückschlägen umgegangen wird. Ein optimistischer Umgang mit Fehlern und das Feiern kleiner Erfolge helfen, die Motivation langfristig hochzuhalten.

Zusätzlich berücksichtigen Umweltfaktoren wie Unterstützung durch Führungskräfte, Kolleg:innenn und Zeitressourcen, die den Lerntransfer fördern oder hinderlich sein können.

Die Transferstärke-Methode umfasst eine Transferstärke-Analyse, einen zehnminütigen Online-Test, der Teilnehmenden ihre Profilbereiche visuell (Ampelsystem, Prozentwerte) transparent macht, und liefert einen etwa 40‑seitigen Auswertungsreport mit konkreten Handlungsempfehlungen. Anschließend folgt eine gezielte Transferbegleitung über zwei bis drei Monate, häufig im Rahmen eines Coachings, um die Umsetzung nachhaltig zu verankern.

Dieses Modell ist besonders geeignet, um im Coaching oder Training individuelle Potenziale, Risiken und konkrete Entwicklungsstrategien für den Lerntransfer transparent und methodisch fundiert darzustellen.

Das Transferstärke-Modell bietet gerade in der Führungskräfte-Entwicklung einen hohen praktischen Nutzen. Entwicklungsmaßnahmen wie Trainings, Workshops oder Coachings entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn das Gelernte auch konsequent in den Führungsalltag übertragen wird. Hier setzt das Modell an: Es macht sichtbar, welche individuellen Faktoren einer Führungskraft den Lerntransfer unterstützen oder behindern – etwa Selbstverantwortung, Motivation oder der Umgang mit Rückschlägen. Durch diese Transparenz können gezielt Maßnahmen ergriffen werden, um die Transferfähigkeit zu stärken, beispielsweise durch Reflexion, praxisnahe Übungen oder gezielte Begleitung im Alltag. Führungskräfte profitieren so nicht nur von neuem Wissen, sondern entwickeln die Fähigkeit, Veränderungen nachhaltig zu verankern und ihr Führungsverhalten wirksam weiterzuentwickeln.

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