Eine sehr große Herausforderung im Bereich Führung ist die Frage, wie Führungskräfte mit dem Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz erfolgreich umgehen können. Diese Fragestellung möchte ich im folgenden Artikel etwas genauer – und vor allem wirtschaftspsychologisch fundiert – beleuchten.
Was ist Führung?
Starten wir zunächst einmal mit der Frage, was Führung ist. Grundsätzlich kann man sagen, dass Führung ein komplexes soziales und dynamisches Phänomen ist, das sich im Zusammenspiel von drei Faktoren abspielt: Führungskraft, Geführte und Umwelt. Vereinfacht kann man sagen, dass Führung die Beeinflussung von anderen ist, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Emotionen und Führung
Wenn wir uns nun mit der Frage beschäftigen, wie die Führungskraft Nähe und Distanz nun kompetent nutzen kann, ist es auch wichtig zu wissen, dass für erfolgreiche Führung eine gewisse emotionale Intelligenz wichtig ist. Goleman (2004) definiert emotionale Intelligenz als das Zusammenspiel von Empathie, sozialen Kompetenzen, der Selbstregulierung von Emotionen und der Motivation von anderen.
Zudem konnten die Forscher Goleman und Boyatzis (2008) zeigen, dass im Führungskontext chemische Reaktionen zwischen den Nervensystemen von Führungskräften und Geführten ablaufen. Die Neurowissenschaft zeigt also, dass Stimmungen im Team anstecken und so emotionaler Zusammenhalt entstehen kann. Und so ist es auch die Aufgabe der Führungskraft, Emotionsmanagement im Team zu betreiben, um Motivation und Arbeitsatmosphäre positiv zu beeinflussen.
So lässt sich also sagen, dass Emotionen und Emotionale Intelligenz in der Führung eine wichtige Rolle spielen. Das könnte zu der Annahme verteilen, dass gerade Nähe im Führungskontext besonders wichtig ist. Dazu möchte ich noch einen Schritt weitergehen und das Thema Distanz in der Führung beleuchten.
Distanz in der Führung
Hierzu lässt sich sagen, dass Distanz nicht gleich Distanz ist. So können drei Typen von Distanz unterschieden werden (Erskine, 2009):
- Strukturelle Distanz: Dabei können wir von physischer Distanz (durch räumliche oder geographische Trennung), Distanz durch das Kommunikationsmedium (zum Beispiel bei asynchroner oder computergestützter Kommunikation) oder auch von Distanz durch die Frequenz der Interaktion (häufige oder seltene Interaktion) sprechen.
- Soziale Distanz: Diese kann sich durch demographische Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Herkunft, Erziehung, Erfahrung) oder auch durch soziale Faktoren (Macht, Status, Rang, Autorität, Sozialer Stand, Kulturelle Normen) ergeben.
- Psychologische Distanz: Psychologische Distanz ergibt sich durch die Beziehungsqualität, also die Frage, ob Mitarbeiter*innen sich im Inner Circle (man spricht hier von der In-Group) oder eher in der Out-Group der Führungskraft befinden. Zudem ergibt sich psychologische Distanz durch die Größe des Entscheidungsspielraums, den die Führungskraft den Mitarbeiter*innen zugesteht. Hier ist also die Frage, inwieweit Mitarbeiter*innen autonom handeln können und Aspekte wie Vertrauen im Team und Empowerment der Geführten eine Rolle spielen.
Die Erkenntnis daraus ist nun, dass wir noch einmal genauer werden müssen, wenn wir von Distanz in der Führung sprechen. Meist sprechen wir von psychologischer Distanz, wenn wir das Spannungsfeld Nähe vs. Distanz im Führungskontext meinen. Und die Frage, wie diese psychologische Distanz oder auch Nähe in der Führung gestaltet werden kann, beschäftigt vor allem Neu-Führungskräfte, die ihre spezielle Art der Führung noch finden.
Nachteile von zu viel Nähe oder Distanz in der Führung
Rollen wir das Thema also noch einmal von hinten auf. Lass uns also doch einmal die Nachteile von zu viel Nähe oder zu viel Distanz in der Führung betrachten.
Was passiert, wenn Führungskräfte sich für zu viel Nähe in der Führungsbeziehung entscheiden? Meist ergeben sich dadurch folgende Herausforderungen (Ghinea & Cantaragiu, 2017):
- Führungskräfte sind dadurch bei schwierigen Entscheidungen emotional befangen und treffen dadurch schlechter Entscheidungen.
- Zu viel Nähe in der Führungsbeziehung kann auch dazu führen, dass Ressourcen ineffektiv genutzt werden, weil du viel Zeit für die Interaktion aufgewendet wird.
- Bei zu großem Fokus auf Nähe führt dies meist zu einem zu großen Fokus auf dem Operativen, eventuell auch zu Mikromanagement.
- Das heißt, dass dadurch zu wenig Empowerment stattfindet und die Führungskraft sowie ihr Team gegebenenfalls blind für eine größere und langfristige Vision werden, da nur die Harmonie im aktuellen Moment zählt.
- Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass zu viel Nähe in der Führungsbeziehung zu einer „Entmystifizierung“ der Führungskraft führt und somit gegebenenfalls zu einem schwierigen Identitätsmanagement. Die Führungskraft wirkt zu nah und formelle Macht wird durch zu viel Nähe ausgehebelt.
Dennoch kann auch zu viel Distanz zu Schwierigkeiten im Führungskontext führten (Ghinea & Cantaragiu, 2017):
- Durch zu viel Distanz ergibt sich eine emotionale Trennung zwischen den Geführten und der Führungskraft.
- Die Führungskraft verliert an Authentizität und wir vor allem in ihrer formalen Rolle – nicht als Mensch – wahrgenommen.
- Zu große Distanz kann auch dazu führen, dass die Führungskraft zu einem Symbol wird. Führung ist also nicht mehr erlebbar, sondern nur noch ein abstraktes Konstrukt.
- Es können sich Schwierigkeiten dabei ergeben, die Mitarbeiter*innen zu motivieren und zu unterstützen.
- Zu viel Distanz kann auch zu Problemen in der Kommunikation und damit zu Missverständnissen führen.
Functional Leadership Proximity
Wie kann dieses Dilemma nun gelöst werden? Ein spannendendes Konzept wurde dabei von den Wissenschaftlerinnen Ghinea und Cantaragiu (2017) entwickelt. Dieses Konzept nennt sich Functional Leadership Proximity (übersetzt so etwas wie: Funktionale Führungsnähe). Dabei entscheidet und positioniert sich die Führungskraft sehr stark situationsabhängig. Übergreifend steht dabei immer die Fragestellung im Raum: „Wie kann ich als Führungskraft effektiv werden?“
Und diese Effektivität ergibt sich eben durch das Zusammenspiel von persönlichem Kontakt und kollegialem Umgang, also Nähe, sowie klaren Formulierung und offenem Feedback (gegebenenfalls auch Kritik), also Distanz. Dadurch kann die Führungskraft jederzeit die Beziehung zu den Geführten wahlweise durch Nähe stabilisieren, also für Beständigkeit sorgen, also auch durch Distanz dynamisieren, also Veränderungen anstoßen. (Grote & Kauffeld, 2007)
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sowohl Nähe als auch Distanz in der Führung relevant sind und es gilt, die Balance zu halten. Und für die Beantwortung der Fragestellung, wie diese Balance ganz konkret aussehen kann, empfiehlt sich ein Leadership Coaching, in dem durch Perspektivwechsel und Situationsanalyse der individuelle Weg gefunden werden kann.
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Quellen:
Erskine, L. (2012): ‘Defining relational distance for today’s leaders’, International Journal of Leadership Studies. vol.7. pp.96-113.
Ghinea, V. & Cantaragiu, R. (2017): ‘Preliminary study on leadership proximity’, Proceedings of the International Conference on Business Excellence, vol.11(1), pp.960-969.
Goleman, D. (2004): ‘What Makes a Leader?’, Harvard Business Review, vol. 82(1), pp. 82-91.
Goleman, D. & Boyatzis, R. (2008): ‘Social Intelligence and the Biology of Leadership’, Harvard Business Review, vol. 86(9), pp.74-81.
Grote, S. & Kauffeld, S. (2007): Stabilisieren oder dynamisieren: Das Balance-Inventar der Führung (BALI-F). In: J. Erpenbeck & L. v. Rosenstiel: Handbuch Kompetenzmessung., pp.317-336.