Bei der Führung in Organisationen haben wir meistens klassische Unternehmen im Kopf, die Gewinn erwirtschaften und dabei vor zahlreiche Herausforderungen gestellt werden. Non-Profit-Organisationen (NPO), also nicht-gewinnorientierte Organisationen, werden dabei meist vergessen. Da ich ebenfalls einige Zeit in einer Non-Profit-Organisationen tätig war, wollte ich das Thema auf meinem Blog noch einmal genauer beleuchten.
Melanie Hörenz-Pissang war jahrelang Geschäftsführerin und Finanzreferentin von verschiedenen eigetragenen Vereinen und hat sich jetzt als Coach, Moderatorin und Prozessbegleiterin auf genau diese Organisationen spezialisiert. Wir haben in unserem Interview beleuchtet, vor welchen Herausforderungen NPOs derzeit stehen und wo ihre Arbeit dabei ansetzt.
Melanie, du warst jahrelang Geschäftsführerin und Finanzreferentin im Non-Profit-Bereich tätig und bist nun als Organisationscoach, Moderatorin und Prozessberaterin auf NPOs spezialisiert. Was macht für dich den Reiz von NPOs aus?
Mein Anreiz war einer sinnvollen und herausfordernden Tätigkeit nachzugehen, die Spaß macht und sich gleichzeitig gesellschaftlichen Herausforderungen stellt. Ich finde die hohe Werte-, Zweck- und Nutzer*innenorientierung bedeutsam und dass Non-Profit-Organisationen nicht gewinnorientiert arbeiten. Meine Tätigkeiten in den letzten 18 Jahren für verschiedene Vereine im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit nach SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) und Intergrationsarbeit waren intrinsisch motiviert. Diese Non-Profit-Organisationen setzen sich dafür ein, dass alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit haben – unabhängig von Herkunft, Kultur, Glaube oder Lebensverhältnissen – erforderlichen Angebote zur Verfügung haben, die für die Entwicklung notwendig sind. Sie knüpfen zum Beispiel an den Interessen junger Menschen an, ermöglichen Mitbestimmung und Mitgestaltung, befähigen zur Selbstbestimmung und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung.
Nun war ich auch selbst als Leiterin Personal in einem Verein tätig und weiß, dass Führung hier in einem ganz anderen Kontext im Vergleich zu Profit-Organisationen stattfindet. Wo siehst du hier denn Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Führung?
Für mich ist Führung vor allem die Fähigkeit, andere zu inspirieren und zu motivieren, den Sinn einer Aufgabe zu vermitteln, und die Motivation einzelner zur Zielerreichung der Organisation zu koordinieren. Ausgehend von einem derartigen Führungsverständnis ergeben sich für mich keine großen Unterschiede im Vergleich zu Profit-Organisationen.
Die Führungskraft in Non-Profit-Organisationen bewegt sich in einem Spannungsfeld verschiedener Akteure (z.B. Fördergeldgeber, Nutzer*innen, Verwaltung, Politik) mit teilweise divergierenden Interessen, Perspektiven und Rahmenbedingungen und zwischen einer dualen Personalstruktur von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen mit einer hohen Beziehungs- und Wertorientierung. Dies führt häufig zu einer starken Emotionalisierung der eigenen Arbeit und Überidentifikation. Wer in NPOs arbeitet, tut dies aus Überzeugung und Engagement für bestimmte Werthaltungen. Formale Macht, Hierarchie und unpersönlichen Routinen werden häufig abgelehnt.
Die daraus resultierenden Anforderungen für die Führungskraft sind sehr komplex, widersprüchlich und herausfordernd. Hinzukommt, dass viele Führungskräfte – vor allem in kleineren sozialen Organisationen – mit vielfältigen, inhaltlichen oder administrativen Tätigkeiten beschäftigt sind und Führung „nebenbei“ passiert. Sie verfügen leider oft nicht um die notwendigen zeitlichen Ressourcen oder benötigen mehr fachliche Qualifizierung und externe Unterstützung durch Coaching oder Organisationsentwicklung, vor allem wenn die Organisationen durch ehrenamtliche Mitarbeiter*innen geführt werden.
Eine immanente Auseinandersetzung der eigenen Haltung, des Führungsstils sowie ein gemeinsames Verständnis über „professionelle Führung“ sind aus meiner Sicht in diesem Bereich unerlässlich.
Was sind aus deiner Sicht aktuelle Herausforderungen im NPO-Bereich?
Diese sind sicher sehr vielschichtig und auch nicht in allen Non-Profit-Organisationen gleich. Ich kann daher nur eine Einschätzung bezüglich jener Organisationen geben, welche ich kenne bzw. extern begleite. Da gehören häufig fehlende, langfristige finanzielle Sicherheiten, die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen bezüglich interner Strukturen und Prozesse und die Themen Digitalisierung sowie Generationswechsel vor allem bei den ehrenamtlichen Vorständen, zu den aktuellen Herausforderungen. Wichtig sind aus meiner Sicht, die immanente Fokussierung auf die eigenen Ziele, Visionen und der daraus resultierenden Aufgaben sowie die Fähigkeit lösungsorientierte Strategien mit den vorhandenen Rahmenbedingungen und Ressourcen zu entwickeln und sich nicht zu häufig am „Mangel“ zu orientieren.
Gehen wir noch einmal ins Detail: Der Ruf nach einem neuen Arbeiten wird immer lauter, New Work ist in aller Munde. Wie reagiert aus deiner Sicht der NPO-Bereich darauf?
Ich bin ehrlich. Bis vor drei Jahren waren mir der Begriff „New Work“ oder „Agilität“ und die damit einhergehenden Prinzipien und Methoden fremd. Erst im Rahmen meiner Ausbildung zum systemischen Organisationscoach bin ich damit in Berührung gekommen. Deshalb sehe ich New Work nicht unbedingt in aller Munde. Ich leiste in diesem Zusammenhang viel „Übersetzungsarbeit“ und versuche niederschwellig entsprechende Ideen, Arbeitsformen oder Methoden zu erläutern und zu implementieren. Um diese auszuprobieren oder Führung neu zu gestalten bedarf es zunächst mehr zeitlicher Ressourcen und Energie. Und das fällt vielen Führungskräften schwer, weil die Aufgaben, die sie in ihren Führungsrollen haben, sie bis zum Rande und zum Teil darüber hinaus belasten.
Ziel ist es vielmehr, selbstverantwortliches Handeln und Verantwortungsteilung der Mitarbeitenden zu stärken. Organisationen einen Rahmen zu geben, in dem sie eigenständige, schnellere Entscheidungen treffen können und Möglichkeiten zu entwickeln, wie Projekte und Prozesse transparenter, effektiver, besser aufeinander abgestimmt und durchgeführt werden können.
Wo kann Unterstützung durch Coaching, Training und Beratung hier aus deiner Sicht konkret ansetzen?
Die Non-Profit-Organisationen genau in diesen Prozessen zu begleiten und zu unterstützen. Lösungsorientierte Kompetenzen mit den vorhandenen Rahmenbedingungen und Ressourcen zu fördern und Reflexionsprozesse mit entsprechenden systemischen Fragen oder Methoden anzuregen. Hierzu zählen in meiner Arbeit vor allem die Entwicklung von Leitbildern, Visionen, Zielen, Haltungen und Strategien sowie belastbare und effektive Organisationsstrukturen und -prozesse. Für mich die Stärkung der organisationalen Resilienz (Widerstandsfähigkeit) und die Gestaltung von wirkungsorientierten Formen der Zusammenarbeit, insbesondere der Mitarbeitenden untereinander (Teamarbeit) sehr wichtig.
Neben systemischen Einzelcoaching von Führungs- und Fachkräften spielen fachspezifische Workshops oder Trainings, z.B. zu Konflikt- oder Zeitmanagement und agilen Projektmanagement eine große Rolle, um Grundlagenwissen zu vermitteln und die Kenntnisse zu erweitern.
Alle diese Unterstützungsangebote orientieren sich immer an den vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen der Organisation und der Mitarbeitenden.
Was würdest du Coaches raten, die sich auf den NPO-Bereich spezialisieren wollen?
Was ich allen Coaches raten würde: Spaß an ihrer Arbeit, eine grundlegende, systemische Haltung und das Veränderungsprozesse Zeit, Geduld, Mut und Kraft brauchen. Leider fehlen häufig die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen für die notwendige externe Begleitung. Deshalb ist es manchmal mühsam einen kontinuierlichen, langfristigen Beratungs- und Coachingprozess zu initiieren.
Liebe Melanie, vielen Dank für das tolle Interview mit spannenden Einblicken.
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