Ein Aufenthalt oder ein Umzug ins Ausland kann sehr aufregend sein. Das weiß ich spätestens seit meinem Umzug nach Spanien im Sommer diesen Jahres. Während ich während meiner Studienzeit schon zwei Semester im spanisch- und französischsprachigen Ausland verbracht habe, war der Umzug in diesem Jahr doch noch einmal eine ganz andere Nummer.
Wir haben die Entscheidung getroffen, mit Hund, Katze und Online-Business komplett nach Katalonien, in den Großraum Barcelona, umzuziehen. Während mein Mann nun als Führungskraft ein Team in einem spanischen Unternehmen führt, bin ich zu 100% Digital CEO und führe mein Business mit deutschsprachigen Kund*innen aus dem Ausland.
Durch einen Zufall habe ich Rebecca Lüppen kennengelernt, die als Expat-Coach Fach- und Führungskräfte sowie deren Familien begleitet. Und ich freue mich total, dass sie zugesagt hat, für ein Blog-Interview zur Verfügung zu stehen. Das Interview ist ein Must-Read für alle, die mit dem Gedanken an einen Auslandsaufenthalt spielen, und Coaches, die Führungskräfte im internationalen Kontext begleiten. Viel Freude beim Lesen!
Liebe Rebecca, du begleitest Fach- und Führungskräfte bei ihren beruflich bedingten Auslandsaufenthalten. Wie bist du denn zu diesem sehr spannenden Thema gekommen?
Das Thema ergibt sich eigentlich logisch aus meinem eigenen Lebens- und Berufsweg. Ich möchte heute Fach- und Führungskräften, insbesondere Frauen, genau die Unterstützung und auch Ermutigung geben, die ich mir selbst gewünscht hätte, als ich vor mehr als 14 Jahren das erste Mal ins Ausland ging.
Nach einem berufsbegleitenden Aufbaustudium mit dem Thema Bildungsmanagement verließ ich damals meinen Beruf als Sozialpädagogin und begleitete meinen Mann in die Slowakei. Mir war klar, ich wollte mir eine neue Karriere parallel aufbauen und ich habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass mir das gelingen kann. Allerdings war ich nicht darauf gefasst, wie viel Anpassungsleistung und Kompromissbereitschaft mir abverlangt werden würden. Hinzu kamen interkulturelle Herausforderungen, auf die ich nicht wirklich gut vorbereitet war.
Dennoch sage ich rückblickend, dass sich die Anstrengung gelohnt hat. Und es hat sich ein Leitsatz herausgebildet, den ich nun auch in meine Coachings mit einbringe, nämlich: Wer ins Ausland geht, darf sich dessen bewusst sein, dass die Gesellschaft, in die wir gehen, nicht auf uns gewartet hat. Die Systeme vor Ort laufen – auch ohne uns. Aber: Jede*r von uns kann überall auf der Welt ihren neuen Platz und eine sinnstiftende Tätigkeit finden.
Also überlege ich gemeinsam mit meinen Klientinnen, was ein Mehrwert sein könnte, den man (oder frau) auf dem Gast-Arbeitsmarkt einbringen kann. Was ist Dein „unique selling point“? Und was ist das, was Du wirklich machen willst, das was Du (im wahrsten Sinne) in die Welt tragen willst und kannst. Und mit dem gehen wir dann ganz gezielt auf die Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung. Das kann ein Beruf sein oder auch etwas anderes.
Auch ist es häufig so, dass die 100% Lösung leider nicht ad hoc eintritt. Vielleicht sind Abstriche zu machen bei Gehalt, Verantwortungsgrad, Aufgabenbereich, Branche, Arbeitsort oder etwas anderem. Aber was ist die Alternative? Ist diese Alternative attraktiv – fein – dann ist das vielleicht die richtige Richtung (z.B. ein weiteres Studium, eine Auszeit, Familie). Wenn nicht, ist es vielleicht an der Zeit, einen Kompromiss einzugehen, sich aus der eigenen Komfortzone zu wagen und etwas Neues auszuprobieren.
Nun gibt es ja verschiedene Szenarien, die ich gerne mit dir beleuchten möchte. Nehmen wir an, jemand geht ins Ausland und übernimmt dort eine Führungsrolle. Welche Herausforderungen können dabei auftreten?
Dabei wäre es natürlich interessant zu wissen, ob diese Person bereits über Erfahrungen als Führungskraft verfügt oder nicht.
Wenn diese Erfahrungen schon vorhanden sind, so kann es eine Herausforderung sein, dass die Erwartungen von Vorgesetzen und Mitarbeitenden an die Führungskraft kulturell bedingt andere sind, als die, die bekannt sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein in der Heimatkultur erfolgreich umgesetztes Fürhungsverhalten kann in der Gastkultur weniger erfolgreich sein. Führungskompetenz und interkulturelle Führungskompetenz können zwei paar Schuhe sein.
Wenn es sich um eine unerfahrene Führungskraft handelt, dann sieht er oder sie sich gegebenenfalls einer doppelten Herausforderung gegenüber: Den eigenen Weg als Führungskraft zu finden und dies in einer neuen, fremden Kultur zu tun. Und stelle Dir vor, diese Person geht dann später in die Herkunftskultur zurück! Auch hier ist dann häufig wieder eine andere Führungskultur gewünscht.
Was empfiehlst du an dieser Stelle?
Die wichtigste Empfehlung hierbei ist, sich zum einen in der Theorie vorzubereiten (z.B. durch ein interkulturelles Training, am Besten mit Schwerpunkt auf Business und Führung).
Ein Mentoring mit einer anderen Führungskraft kann hilfreich sein und sicher auch ein (interkulturelles) Führungskräfte-Coaching on the job. Nun wird das natürlich nicht in jedem Fall möglich sein.
Dann möchte ich als zweites empfehlen, immer mit den Menschen, die geführt werden und den eigenen Vorgesetzten in den Dialog zu treten. Was erwartet ihr von mir und was könnt ihr von mir erwarten? Das ist eigentlich schon die halbe Miete. Wobei ich schon auch sagen muss, dass es in indirekteren Kulturen tendenziell schwieriger ist, hier klare Aussagen zu bekommen. Hier müsste die Führungskraft zwischen den Zeilen lesen -oder sich hierbei unterstützen lassen.
Eine weitere Möglichkeit kann sein, dass jemand den Partner oder die Partnerin ins Ausland begleitet und dafür vielleicht sogar erst einmal beruflich zurücksteckt. Das ist sicherlich nicht einfach, gerade wenn man davor eine verantwortungsvolle Position ausgefüllt hat. Wie kann das gut gelingen?
Meiner Erfahrung nach sind hier zwei Punkte zentral: das Erwartungsmanagement beider Partner und dass eine sehr bewusste Entscheidung getroffen wird.
Bezüglich des ersten Punktes ist es sehr wichtig, dass die Partner miteinander sprechen und es klare Vereinbarungen gibt. Wenn z.B. die mitausreisende Partnerin ein Studium machen möchte und dafür an einem oder zwei Nachmittagen nicht bis spät abends auf die Kinder aufpassen kann, muss es eine verlässliche Lösung dafür geben. Denn leider ist es so, dass sonst der nicht erwerbstätige Partner eher zurücksteckt, Dinge verschiebt und am Ende unzufrieden ist.
Auch ist es hilfreich, wenn von vornherein darüber gesprochen wird, falls viele Dienstreisen anstehen und wie dann die Partner damit umgehen wollen.
Falls eine Jobsuche angestrebt ist, sollte auch der Gedanke zugelassen werden, dass es länger dauern könnte als erwartet oder vielleicht auch gar nicht klappt. Was ist dann die Alternative? Kann der nicht arbeitende Partner sich das überhaupt vorstellen? Ist „Nicht-Arbeiten“ eine Option? Gibt es einen zeitlichen Rahmen, nach dem er/sie ggf. auch alleine für eine Zeit zurückkehren würde – oder an dem beide Partner zurückkehren würden?
Das spielt hier schon in die bewusste Entscheidung rein. Was ich diesbezüglich aber auch immer anrege ist, sich sehr genau mit den Möglichkeiten im Gastland zu befassen. Bekomme ich eine Arbeitserlaubnis? Welche Art von Visum wird benötigt? Kann ich gegebenenfalls schon vor Ausreise bestimmte Weichen stellen? Kann ich eine selbständige Tätigkeit aus meinem Heimatland aus aufrechterhalten? Ist dies vielleicht eine Chance, für eine gewisse Zeit lang mal etwas „Neues“ auszuprobieren? Wie kann das genau aussehen?
Du hast mir auch erklärt, dass natürlich nicht nur berufliche, sondern auch eine Reihe von privaten Herausforderungen, zum Beispiel in der Familie, auftreten können. Hast du dafür ein Beispiel? Wo setzt du als Coach dabei an?
Solche möglichen Herausforderungen sind natürlich so vielfältig wie Menschen und Familien selbst. Fakt ist, dass eine Partnerschaft, die schon vor Ausreise nicht stabil war in den meisten Fällen durch so eine äußere Veränderung nicht wirklich gestärkt wird. Oftmals sind die Partner noch mehr „alleine“ zusammen, als es vorher der Fall war. Hinzu kommen die Herausforderungen einer solchen Veränderung. Ich empfehle also allen Menschen, sich bereits im Vorfeld zu überlegen, ob sie sich und der Beziehung diese Veränderung zutrauen.
Und dann ist da noch ein Punkt hinsichtlich Familien mit Kindern. Oftmals haben wir in unseren Heimatländern eine Art soziales Netz, das uns unterstützt: die Oma, oder die Freundin, die das Kind mal aus der Kita holen kann, wenn ich es zeitlich nicht schaffe. Das deutsche Arbeitsrecht sieht Krankheitstage für Eltern vor – das ist in vielen anderen Ländern (leider) nicht üblich. Dieses Netz fällt erst mal weg. Und dann finden sich der arbeitende Elternteil, die Kinder und der nicht arbeitende Elternteil auf einmal in ganz neuen Situationen wieder und müssen sich erst mal anpassen. Das gesamte System wurde ja komplett auf den Kopf gestellt. Gefühle wie Trauer (über zurückgelassene Freunde oder Familienmitglieder), Heimweh und auch Wut können eine Rolle spielen.
Die neue Führungsrolle des arbeitenden Partners ist vielleicht herausfordernd. Die ganze Umgebung ist neu, plötzlich muss man wieder neu orten, wo man Windeln und Hefe bekommt, wo es einen englischsprachigen Kinderarzt gibt und so weiter.
Deshalb finde ich es so wichtig, dass meine Klientinnen zuallererst diese Herausforderung anerkennen lernen, sich auch mal selbst auf die Schulter klopfen für alles, was sie in dieser Situation leisten und dann schauen, was sie ganz konkret weiter in dieser Zeit für sich erreichen wollen – und wie dieses genau gelingen kann.
Von dir habe ich auch erfahren, dass es so etwas wie einen Reverse Culture Shock gibt. Was versteht man denn darunter?
Das ist eigentlich kein neues Konzept, sondern ein vergleichsweise alter Hut. Die sogenannte U-Kurve der kulturellen Adaption des norwegischen Soziologen Sverre Lysgaard (1955) wurde bereits 1963 von den amerikanischen Psychologen John T. und Jeanne E. Gullahorn zu einem W-Modell erweitert. Die Idee ist, dass die klassischen Phasen des Honeymoon (alles ist neu und aufregend), des Kulturschocks (sich nicht zurecht finden, sich an Dingen der Gastkultur stören…), der Anpassung (die Kultur „lieben lernen“) und Integration (angekommen sein) sich quasi wiederholt, wenn man – insbesondere nach langen Auslandsaufenthalten – wieder in die Heimat zurückkehrt.
Dieser Schock wird oft heftiger erlebt, denn er kommt unerwartet. Ich komme ja zurück nach Hause. Warum sollte ich also auf Probleme treffen? Was wir dabei außer Acht lassen, ist, dass die Welt sich sowohl hier wie dort weiter gedreht hat. Sind wir noch die Gleichen, die wir waren, als wir vor 5, 6 oder 15 Jahren ins Ausland gingen? Natürlich nicht! Sind die Leute „back home“ noch die gleichen? Ebenso wenig! Wir alle haben uns weiterentwickelt, aber eben nicht in die gleiche Richtung. Auch das gesamtkulturelle Umfeld hat sich verändert. Und deshalb dürfen wir das Unerwartete erwarten – und eben auch nachsichtig mit uns sein, uns reflektieren und uns Zeit für das „Ankommen zu Hause“ nehmen. Und genau deshalb heißt auch eines meiner Coachingprogramme so.
Was ist dein Top-Tipp für jeden Auslandsaufenthalt als Expatriate?
Feiere Dich bewusst für Deine mutige Entscheidung und das am Besten jeden Tag aufs Neue. Achte gut auf Dich, in dieser Zeit. Lasse negative Gefühle zu, erfreue Dich aber ebenso an den tollen Erfahrungen, die Du machen darfst. Und wenn Du das Gefühl hast, Du müsstest Dich neu ausrichten oder, dass Du noch mehr aus dieser Zeit für Dich herausholen möchtest, dann arbeite mit einem Expat Coach zusammen.
Vielen lieben Dank, Rebecca, für diese tollen Einblicke. Ich hoffe, dass du mit diesem Einblick und vor allem deiner Arbeit vielen Expats helfen kannst.
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