Interview mit Elena Mertel zur Zukunft der Arbeit

von | Nov. 17, 2020 | Blog

Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Diese Frage stellen sich derzeit viele Organisationen, Führungskräfte, aber auch Prozessbegleiter*innen. Ich habe Elena Mertel, Gründerin der Organisationsberatung RIA META, interviewt, über dieses Thema gesprochen, um ihre Perspektive dazu kennenzulernen. Wir haben die Themen New Work, Grundtendenzen in der Arbeitswelt, die Veränderung der Führungsrolle, aber auch Diversity und Chancengleichheit diskutiert und ich freue mich dir hier das Ergebnis zeigen zu können.

Elena, du bist Organisationsentwicklerin, Business Coachin und Vordenkerin zu allem, was die Zukunft der Arbeit betrifft. Wie würdest du dich selbst beschreiben?

Als Systemische Beraterin finde ich meist die Frage spannender, wie mich andere beschreiben würden. Wenn du mich fragst: Ich fühle, was ich mache und ich mache, was ich fühle.

Ich hinterfrage mich selbst viel, persönlich und beruflich. Genauso hinterfrage ich meine Umwelt, Beziehungskonstrukte und das Miteinander, was mich wahrscheinlich zur Systemischen Organisationsentwicklung gebracht hat. Ich finde es faszinierend, mir komplexe Strukturen anzuschauen, zu sehen, wie Systeme miteinander in Interaktion treten und Dynamiken zu verstehen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und lerne am meisten durch den Kontakt mit anderen Menschen. Aus der Idee, etwas Neues zu entwickeln, ist dann auch RIA META entstanden.

Was macht RIA META genau?

Der Name „RIA META“ ist schon in meinem Studium entstanden. Zunächst als Planschbecken für meine Ideen und Gedanken. RIA steht für Abenteuer, Veränderung und Mut. META steht für die Vogelperspektive und den Blick von außen. Ria war ein Mädchen, auf das ich einige Jahre in Wien aufgepasst habe – sie war ungefähr so drauf wie Pipi Langstrumpf.

RIA META hat sich in den letzten Jahren auch mit mir sehr stark verändert und ist nun eine Organisationsberatung. Mein Schwerpunkt ist dabei Organisationsentwicklung, Business Coaching und Co-Founder as a Service. Ich sehe das als eine Art Community, weil ich stark davon überzeugt, dass Veränderung am Besten im Sparring funktioniert.

In Bezug auf das Thema Zukunft der Arbeit spielt vor allem der Begriff New Work eine Rolle, der sich zu einem Buzzword entwickelt hat. Was ist denn New Work für dich?

Ich beobachte voller Spannung die Entwicklung des Begriffs. Ich höre von vielen, dass sie die inflationäre Verwendung des Begriffes kritisch finden, weil viele nicht wissen, was sich hinter dem Begriff tatsächlich verbirgt und wo der Ursprung der „Neuen Arbeit“ liegt. Persönlich begrüße ich es, dass die Bewegung immer mehr Anhänger*innen findet. Den Begriff gibt es ja schon lange. Der Schöpfer – Frithjof Bergmann – stellt seine Kernforderung schon seit 40 Jahren: Der Mensch soll sich nicht länger der Arbeit unterwerfen, sondern nach einer Tätigkeit suchen, die ihn wirklich-wirklich erfüllt.

Im Kern geht es darum, die neuen Möglichkeiten zu nutzen und herauszufinden, wie man arbeiten möchte und was einen selbst mit Sinn erfüllt. Ich bin davon überzeugt, dass durch die neuen Technologien viele neue Chancen entstanden sind, um die Arbeitswelt neu zu denken und auch traditionelle Werte zu hinterfragen. Durch Corona und die Notwendigkeit von Remote Work haben diese Trends zusätzlichen Aufwind bekommen. Die klassische 9-to-7-Präsenzkultur, starre Hierarchien, streng regulierte Arbeitsstrukturen – das werden zunehmend Relikte der Vergangenheit. Stattdessen verstärkt sich der Wunsch nach individueller Selbstbestimmung und persönlichem Wachstum.

Welche Grundtendenzen siehst du also zusammenfassend in der Arbeitswelt? Oder anders gefragt: Wie werden wir in Zukunft arbeiten?

Ich betrachte es gerne auf zwei Ebenen: technologisch und gesellschaftlich. Natürlich hängen beide Bereiche auch miteinander zusammen. Eine Kernfrage ist, wie können wir KI und Technologisierung im Allgemeinen so entwickeln, dass es uns als Gesellschaft dient und nicht dominiert? Für mich ist der Fortschritt grundsätzlich etwas Positives, aber das richtige Maß ist wichtig. Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, was KI nach welchen Regeln können soll. Es muss kompatibel sein zu unseren gesellschaftlichen Werten und zu unserem demokratischen Selbstverständnis. Diese Frage ist auf der Makroebene (also auf der Ebene der Gesellschaft) und der Mesoebene (also der Ebene der Organisation) zu beantworten, damit uns die Technologie mehr gibt, als dass sie uns schadet. Ein Beispiel ist die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Nutzung, der Daten, die uns durch Big Data zur Verfügung stehen. Innerhalb von Organisationen geht es dann auch darum, Technologien entsprechend der Unternehmenswerte und -kultur zu implementieren und die Mitarbeiter*innen mit möglichst viel Selbstbestimmung einzubinden.

Auf gesellschaftlicher Ebene beobachte ich in meiner Arbeit als Organisationsberaterin und Business Coachin, dass es zu einer Art „Work-Life-Blending“ kommt. Also, dem Verschmelzen von Lebenswelt und Arbeitswelt. Die individuelle Vereinbarkeit von Berufs- und Arbeitsleben ist wichtig. Genauso wie der Wunsch, die eigene Lebenszeit mit den richtigen Dingen am richtigen Fleck, zu verbringen, um damit besonders wirksam zu sein.

Hier werden Themen wie Purpose und Sinnhaftigkeit immer wichtiger. Dahinter steht die Grundfrage: Wie wollen wir morgen arbeiten? Wie verändern sich Bedürfnisse? Was heißt es für unsere menschlichen Fähigkeiten, wenn uns die Technologie vieles abnimmt?

Wie können aus deiner Sicht Organisationen schon jetzt dafür sorgen, dass sie fit für die Zukunft werden?

Der Trend geht immer stärker in Richtung Mitbestimmung und Holacracy. Statt Hierarchie qua Rolle, spielen für gute Führungskräfte also sinnvolle Argumente und starke Ideen eine immer wichtigere Rolle.

Entscheidungen werden zunehmend transparenter, gemeinsam getroffen und Verantwortung wird auf mehreren Schultern verteilt. Das ist gerade für das Führungsverständnis sehr wichtig zu verstehen. Welche Rolle übernehmen Führungskräfte, wenn Wissen quasi überall verfügbar ist und Wissen nicht mehr Macht bedeute?

Bei vielen Mitarbeiter*innen wächst der Wunsch nach Selbstorganisation und Autonomie. Hierfür braucht es klare Rollen und Verantwortlichkeiten, um an den richtigen Stellen für Transparenz und Klarheit zu sorgen.

Wenn ich auf meine letzten Jahre als Organisationsentwicklerin schaue, dann heißt das für Organisationen vor allem: wach zu bleiben, den Blick nach innen und nach außen zu richten, Veränderung als Konstante zu begreifen.

Das zeigt, dass für Organisationen einiges zu tun ist. Du hast auch schon die Veränderung der Führungsrolle angesprochen. Wie können Führungskräfte denn nun aus deiner Sicht begleitet werden, damit sie Organisationen strategisch sinnvoll in die Zukunft führen? Wie können Führungskräfte begleitet werden?

Es ist wichtig, dass Führungskräfte verstehen, dass Veränderung bei Ihnen selbst beginnt. Es genügt nicht zu glauben: „Wir holen uns jemanden und der/die macht das für uns.“

Veränderung beginnt immer bei uns selbst – das gilt nicht nur für Führungskräfte, sondern Menschen im Allgemeinen. Um als Führungskraft die Stärken meines Teams und Mitarbeiter*innen zu erkennen, ist es wichtig, meine eigenen Stärken und Schwächen zu kennen und mein Ego gut auszuleuchten. Wissensaustausch und ein Informationsfluss, ohne Reibungsverluste, wird immer wichtiger. Das setzt die Arbeit an der eigenen Kommunikation voraus, denn nur dann kann ein starkes Wir-Gefühl entstehen.

Aus meiner Erfahrung ist es gerade für etablierte Führungskräfte eine große Herausforderung, zu begreifen, dass sie nicht auf alles eine Antwort haben müssen, sondern gute Fragen stellen, richtig zuhören und die eigenen Mitarbeiter*innen befähigen, ihnen Orientierung geben und Vertrauen schenken. In einer immer komplexeren Welt kennen wir die Antworten oft nicht, das lehrt uns gerade auch Corona. ‚Listening to learn‘ und das Einlassen auf unerwartete Antworten wird damit immer wichtiger.

Du betonst auch immer wieder Themen wie Chancengleichheit und Diversity – was heißt das für dich? Und inwiefern spielt das aus deiner Sicht eine Rolle, wenn wir über die Zukunft der Arbeit sprechen?

Wenn wir über die Zukunft der Arbeit sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, wer was gestaltet. Da sehe ich noch immer enormen Nachholbedarf. Vor Kurzem ist der neue AllBright-Bericht erschienen und da schneidet Deutschland erneut nicht gut ab. Der Frauenanteil in DAX-Vorständen ist in der Krise massiv gesunken und liegt aktuell bei 12,8 % bei den 30 DAX-Unternehmen. Bei uns findet, im Gegensatz zu anderen Industrieländern, in der Krise also eher eine Rückbesinnung, ein Rückgriff auf Altbewährtes statt.

Das Problem sind nicht die Frauen und an vielen Stellen auch nicht mal die Männer. Das Problem sind die verankerten Strukturen: Die Zahl der Akademikerinnen ist den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen und liegt aktuell über dem Anteil der männlichen Absolventen. Trotzdem schaffen es Frauen in Deutschland nicht schaffen, diesen Startvorteil für sich zu nutzen. Das liegt daran, dass Vorbehalte immer noch so tief verwurzelt sind und an vielen Stellen unzeitgemäße Denkmuster unterbewusst verankert sind.

In Organisationen heißt es dann: „Wir würden ja gerne eine Frau einstellen, aber wir finden keine. Wir haben doch schon alles versucht.“ oder „Die wollen nicht.“ Das sagt mehr über das eigene Führungsverständnis und die eigenen blinden Flecke aus – als über die Qualifikation der weiblichen Nachwuchskräfte.

Gleich rekrutiert gerne gleich. Männer bleiben dann gerne unter sich. Das ist ein Problem, dass man an dieser Stelle knacken muss. Männer glauben, wenn sie jemanden einstellen, der ihnen ähnlich ist, zu wissen, was sie erwartet, was bei Lichte betrachtet, utopisch ist und in der Konsequenz zu homogenen Führungsteams zu führt, die weder Innovation fördern noch den Querschnitt unserer Gesellschaft repräsentieren.

Ich bin optimistisch, dass sich hieran in naher Zukunft vieles ändert. Der öffentliche Druck nimmt zu und junge digitale Talente wollen in Unternehmenskulturen arbeiten, die Vielfalt, Toleranz und ein offenes Miteinander fördern.

Vielen Dank, Elena, für das spannende und informative Interview.

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Mehr zu Elena erfährst du unter:
https://www.riameta.de/
https://www.linkedin.com/in/elena-mertel/
https://www.instagram.com/ria.meta/

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